Eine Bürgerversammlung unter aller Sau

Wie sich Bürger und Bürgermeister blamieren können

Es ist schon spät oder auch früh. Das kann man  nennen, wie man will.

Am Dienstag war ich zur Einwohnerversammlung meiner Heimatstadt. Große Aufregung im Vorfeld, ich war gespannt, wie das alles abläuft, denn die Gemüter im gesamten Land sind sehr erhitzt, was man auch verstehen kann. Unsere Regierung macht es uns nicht leicht, sie zu mögen. Aber Schluss mit dem Gejammere. Jetzt geht's erst richtig los.

Der BM hatte zur Einwohnerversammlung geladen. Als guter Bürger dieser Stadt nahm ich teil. Bevor ich eingelassen wurde, musste ich mich registrieren. Es geht eben nichts über deutsche Gründlichkeit. So weit, so gut. Ich betrat den Raum. Schon beim Betreten der Vogtlandhalle wunderte ich mich, dass ich nicht in den großen Saal gehen durfte. Es ging nach oben in den Raum, wo sonst der Stadtrat tagt. Ich war pünktlich, nicht zu spät. Doch in der Sardinenbüchse wurden so langsam die Plätze rar. Aber ich Glückliche fand einen Platz. Auf einmal wurde es sehr hektisch oder betriebsam. Ich weiß nicht, wie ich es bezeichnen soll. Es kamen gepolsterte Klappstühle. Ich war doch zu einer Einwohnerversammlung und nicht zur Gartenparty geladen? Oder? 

In seinem Begrüßungswort ließ der BM verlauten, dass er gar nicht mit so vielen Besuchern gerechnet hatte. Sein Ernst? Es rumort an allen Ecken und Kanten und er hat nicht mit so vielen Besuchern gerechnet. Das war ganz sicher ein Joke. 

Dann wurde Schnelli aktiviert und den Bürgern der Finanzhaushalt der Stadt Greiz vorgelegt. Immerhin zeigt man sich bürgernah und transparent. 

Es wurde gelobhudelt und der schwarze Peter vergeben, dass es nur so krachte. Dann ... ja dann wurde es spannend. Und bis zu diesem Zeitpunkt war ich noch ganz friedlich.

Es kam zu den ersten Bürgerfragen. Sauberkeit - ein großes Thema der Stadt. Man ist schließlich Touristenstadt. Aber Müll und Unkraut an vielen Ecken der Stadt können auch von den Bürgern geräumt werden. Ernsthaft? Wir zahlen Steuern und haben einen Bauhof. Oder - und jetzt werde ICH kreativ - will man bewusst so ein Alleinstellungsmerkmal schaffen? Ich bin mir nicht sicher. Als mein Papa noch lebte, meinte er zu mir auf dem Weg von Kinoparkhaus zur Alten Wache, ich solle das nächste Mal, wenn ich in der Stadt bin, doch mal ein Päckchen Salz mitnehmen, um das Unkraut zu bekämpfen. 

Also zurück zu den Bürgerfragen. Was soll ich sagen? Es ist gut, aber auch ein Fluch, wenn man non-verbale Kommunikation zu deuten weiß. 

Der Bürger fragte und der Bürgermeister gab mit entsprechender Handbewegung zu verstehen: Das Mikro ganz schnell zu mir zurück. Denn man muss wissen, in meiner Heimatstadt sind noch die Dinos aktuell. Deswegen ist mein Enkel auch so gern bei mir zu Gast. Er liebt Dinos.

Im Zeitalter der digitalen Arbeitsweise hat unser BM ein Mikro an der Strippe und die Bürger müssen sich bei solchen Veranstaltungen durch den Dschungel der Gästen arbeiten, um das ersehnte Mikro zu erreichen. Es lebe die Technik und das digitale Zeitalter. Zur Anmerkung: in meiner Kirchgemeinde besitzt man moderne Kommunikationstechnik, nicht erst seit gestern.

Um mal bei der Sache zu bleiben, keiner weiß so genau, ob das Projekt der 90er Jahre umgesetzt wird oder nicht. Wir können nur auf die Denkmalbehörde hoffen. Mit dem Marstall etwas anzustellen, dafür habe ich schon eine Idee.

Doch dann wurde es immer heißer im Saal. Es trat eine Frau nach vorn. Energisch sprach sie auf den BM, dann auf ihre potentiellen Wähler ein. Kraftvoll und Energie geladen trug sie ihre Wahlkampfrede vor. Bei einem kleinen Gerangel mit unterlag sie dem Hausherrn und Leiter dieser Veranstaltung. Ich glaubte nicht, was ich hörte und wahrnahm. Voller Inbrunst verkündete sie, dass sie als Lehrerin und Pensionsinhaberin für den nächsten Stadtrat kandidiere. Ja, solche Menschen brauchen wir in unserem Stadtrat, die nicht wissen, dass Flüchtlinge einen Kurs des BAMFs besuchen müssen, um ein Zertifikat zu bekommen. Das bringt unsere Stadt vorwärts. Das war die Krönung der Einwohnerversammlung. Seit Dienstag schäme ich mich, Lehrerin zu sein. 

So nun beende ich den ersten Teil. Meine Meinung werde ich in den nächsten Tagen niederschreiben. Eine gute Nacht allen Lesern. Macht euch keine schlaflosen Nächte. Die habe ich.

 

 

Amazon

Kerstin Schulz